Klagefall
Mittwoch, 4. November 2009
Warum ich nicht die Piratenpartei gewählt habe

Am Sonnabend werde ich noch einmal unsicher. Es geht ja um nichts. Warum eigentlich nicht die Piraten? Sie sind neu, sie sind noch nicht korrumpiert, sie sind netzaffin, demokratisch, grundrechtsbewusst, international und kommen aus Schweden. Sie haben schicke Buttons. Und tonnenweise Twitter-Accounts. Und machen diesen maritimen Long-John-Silver-Wahlkampf. He, wieviele Piratenbücher habe ich als Junge verschlungen? Warum eigentlich nicht?

Ich mag keine Ego-Shooter und ich halte sie auch nicht für ungefährlich. Aber davon sollte man seine Wahlentscheidung vielleicht nicht abhängig machen. Ich kenne auch nette Leute, die Ego-Shooter spielen. Und wahrscheinlich gibt es auch Piraten, die andere Sachen spielen oder gar nichts, weil sie immerzu Foren und Blogs vollschreiben oder Wikis programmieren.

Bin ich zu alt? Am Wahlstand der Piraten werde ich konsequent gesiezt, als ich in den orangenen Faltblättern krame. Ich klappere mal die Kandidatenlisten und Vorstände ab. Klar, die meisten lassen ihre Wäsche noch zuhause waschen, aber es gibt auch ein paar Ältere. Ein bisschen wenig Frauen sind dabei, aber ich bin auch keine Frau. Das kann man ihnen schlecht vorwerfen.

Ich lese das Wahlprogramm. Den Teil mit den Urheberrechten verstehe ich nicht. Musik habe ich mir immer gekauft, auch als ich fast kein Geld hatte. Bücher auch. Und es gibt (leider völlig unterfinanzierte) Bibliotheken. Aber den Rest kann ich gut lesen. Ja, es gibt Kriminalität und natürlich gibt es auch im Internet Kriminalität. Und niemand behauptet, dass Kriminalität nicht verfolgt werden soll. Das Programm mutet beinahe schon anachronistisch an ob seiner Rechtsstaatlichkeit.

Aber es ist mir viel zu kurz. Was ist mit der Krise? Was ist mit dem Krieg? Welche Wirtschaftsordnung wollen die Piraten? Welche Sozialordnung? Welches Menschenbild haben sie? Nachher sitzen die im Bundestag mit meiner Stimme und sind auf einmal so eine Art Retro-FDP!

Es ist richtig: Der Mensch hat einen Anspruch auf Schutz vor dem Staat. Aber es ist auch richtig: Er hat auch einen Anspruch auf Schutz durch den Staat. Der Mensch ist nicht nur Individuum. Er ist auch ein soziales Wesen. Sehr richtig: Der Mensch braucht Information und deshalb Zugang zu Informationen. Er braucht aber auch Wasser, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Energie, Krankenbehandlung, Sicherheit, Verkehr. Wie soll das organisiert werden? Wer soll das organisieren? Der Markt oder der Staat? Oder der regulierte Markt. Das Infrastrukturkapitel lese ich mit Wohlwollen. Ich hoffe, es kommt ein Kapitel über die Dinge hinzu, die man früher Daseinsvorsorge nannte. Früher, bevor die Leute mit dem Agenda-Sprech kamen.

Ich habe dann doch nicht die Piratenpartei gewählt. Aber ihren Twitter-Account gefollowt, immerhin.

Man muss sich ein Weblog als ein Notizbuch vorstellen, das nicht verlorengehen kann und das niemand findet. Seit 5499 Tagen glücklich auf Antville.
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