Klagefall |
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Montag, 19. Dezember 2016
Zu Andrej Holm
I. Irgendwann 1988 mussten alle Jungs aus meiner Klasse zu den gefürchteten Verpflichtungsgesprächen. Wir wussten, was passieren würde. Im Büro neben dem Direktorenzimmer saßen der Parteisekretär der Schule, der Leiter der GST [1] und zwei unbekannte Herren, von denen einer uniformiert war. Der Grundwehrdienst in der NVA dauerte lange 18 Monate, in den Gesprächen wollten sie uns überreden, drei Jahre zu gehen. Drei Jahre bedeuteten eine Laufbahn als Unteroffizier, mehr Sold, den gewünschten Studienplatz und deutlich mehr Stipendium. Und 18 Monate mehr. Ich hatte Angst vor der Armee. Angst vor dem Sport, der Sturmbahn, Angst davor, dass mich ein durchgedrehter Genosse erschießt, unter einen Panzer zu geraten, zu verunglücken oder von den Entlassungskandidaten aus dem Stubenfenster geworfen zu werden. Eine Verlängerung kam nicht in Frage. Das alles ging mir durch den Kopf, als der Mitschüler vor mir heulend aus dem Büro kam. Als sie dann auf mich einredeten, sagte ich immer nur, dass ich mich zwar für den Frieden einsetzen möchte, mein Mutter aber nicht wolle, dass ich länger zur Armee ginge, weil sie Angst hätte, dass mir etwas passieren könnte. So hatte ich das mit meinen Eltern abgesprochen und nach einer Weile gaben sie auf. Genauso lief es bei der Musterung und dieselbe Antwort gab ich auch, als mich der Offizier im Wehrkreiskommando fragte, ob ich zu den Grenztruppen gehen würde. Die Grenztruppen waren richtig gefährlich, nicht nur wegen der Minen und weil man notfalls auf Flüchtlinge schießen musste. Das Problem war, dass du nicht sicher sein konntest, ob der Soldat, mit dem du auf Streife gingst, abhauen wollte und dich dabei als Hindernis betrachtete. Da wollte ich nicht hin. Später bewarb ich mich um einen Studienplatz für Soziologie in Berlin [2]. Das Eignungsgespräch fand in einer Bude in Friedrichsfelde statt und endete mit der Ansage, dass alles sehr erfreulich sei, ich mir aber bitte doch noch einmal überlegen solle, ob ich nicht meinen Ehrendienst in der NVA verlängern wolle. Ich sagte ihnen, dass ich darüber nachdenken würde. Als ich schließlich 18 Jahre wurde und mich ein Lehrer meiner Schule fragte, ob ich Kandidat der SED werden wolle, er würde für mich bürgen, dankte ich für das Vertrauen und sagte, dass ich mich dafür noch nicht reif genug fühlen würde. Auf die Idee waren auch meine Eltern gekommen, aber ich weiß natürlich nicht, wie lange diese Ausrede funktioniert hätte. Die Studienplatz bekam ich dann trotzdem und es gab eine Menge langer Gesichter in der Schulaula, als die Zusagen und Absagen vom Direktor bekanntgegeben wurden. Nach dem MfS wurde ich nie gefragt. Meine Antwort wäre gewesen, dass ich darüber erstmal mit meinen Eltern reden wolle. Den Trick hatte ich von einem Schulfreund, den der Jugendpfarrer damit versorgt hatte: Wenn sie zu euch kommen, sagt dass ihr das mit eurem Seelsorger besprechen wollt. Wenn die Konspiration nicht sichergestellt war, warst du für die Staatssicherheit sofort aus dem Spiel, das war ein einfaches und wirkungsvolles Mittel. Mit einem Pfarrer konnte ich nicht dienen und habe gedanklich meine Eltern an seiner Stelle eingesetzt. Man musste kein Held sein, um diese Sachen abzulehnen. Die meisten Leute in der DDR haben instinktiv oder mit Bedacht einen weiten Bogen um diese Dinge gemacht, ohne dass ihnen ernsthaft etwas passiert wäre [3]. Sie konnten dich zu allem zwingen, klar. Aber bis es soweit war, konnte man ziemlich einfach nein sagen [4]. Das ist nicht besonders redenswert. II. Im Dezember 2016 wurde Andrej Holm zum Staatssekretär in der Berliner Landesregierung ernannt. Es gab aus verschiedenen Gründen eine öffentliche Diskussion über diese Personalentscheidung. Andrej Holm hat deshalb seine Kaderakte veröffentlicht [5]: 1970 geboren, der Vater ist Offizier des MfS, der Sohn gibt am Ende der 8. Klasse eine Bereitschaftserklärung als Offiziersbewerber des MfS ab, GOL-Sekretär [6], mit 18 Jahren Kandidat der SED, nach dem Abitur am 1. September 1989 Eintritt in das MfS als Offiziersschüler, Verpflichtungserklärung, sechs Wochen Grundausbildung, Stubenältester, danach bis zur Entlassung am 31. Januar 1990 und Übernahme durch die Volkssolidarität Tätigkeit in der Auswertungs- und Kontrollgruppe der Bezirksverwaltung Berlin [7]. Bei Verpflichtung für das MfS wird Andrej Holm zugesagt, dass er im September 1990 ein Volontariat bei der Zeitung Junge Welt und ein Jahr später ein Studium der Journalistik beginnen könne. Mehr konnte man in diesem Alter für den Staat nicht machen. Kann man mit diesem Lebenslauf Staatssekretär in einer Landesregierung werden? Ja klar. Seitdem sind 27 Jahre Lebenslauf hinzugekommen und keinem Menschen kann endlos lange vorgeworfen werden, was er mit 18 oder 19 Jahren gemacht hat. Das ist keine Frage. Trotzdem stören mich einige Dinge an dieser Diskussion [8]. Ich fände es gut, die Sachen nicht zu verharmlosen. Hier hat sich jemand sehenden Auges der absoluten Elite des Repressionsapparats der DDR angeschlossen (und zwar sofort, für immer und bis zum Ende der Staatssicherheit, »mit der Perspektive, nach der Grundausbildung beim Wachregiment länger bei der Staatssicherheit zu bleiben« klingt dagegen niedlich und beiläufig [9]). Offizier des MfS war in etwa das Heftigste, was man anstreben konnte und es wimmelte im Sommer 1989 nicht gerade von jungen Männern, die das werden wollten. Spätestens im Juni, als Egon Krenz im Fernsehen sagte, auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking sei lediglich die Ordnung wiederhergestellt worden, wusste jeder denkende Mensch, worauf er sich einlässt. Das kann man passiv »eine Passage meiner Biographie, die man nicht ablegen kann« nennen, so wie ein Naturereignis. Oder man glaubt, dass man als volljähriger Mensch in der DDR schon Verantwortung für sein Handeln hatte (ohne frei zu sein). Mir gefällt die eingenommene Opferrolle nicht. »Ich hatte nicht den Mut, unter diesen Voraussetzungen andere Wege zu gehen«, sagt Andrej Holm und verweist implizit auf eine nicht näher bezeichnete Drucksituation, auf die Verhältnisse. So als ob es nicht seine eigene Entscheidung gewesen wäre, in diesem zerbröselnden Staat zum MfS zu gehen, während jedes Jahr ein Haufen Abiturienten die Bewerbung zum NVA-Offizier zurückzog. Das hätte sicherlich den begehrten Studienplatz gekostet, der mit einer Zwei im Abitur nicht zu haben gewesen wäre: aber Mut? Mut hatten in meinen Augen diejenigen, die wirklich etwas riskiert haben, die ins Gefängnis gegangen sind oder ihre Arbeitsstelle verloren. Mut ist das falsche Wort. Meines Erachtens ist das alles überhaupt keine Frage von Parteilichkeit oder Solidarität. Es ist legitim, die Persönlichkeit und das Verhalten eines künftigen Regierungsmitglieds zu hinterfragen. Das darf jeder, das darf erst recht die jeweilige Opposition und das sieht auch Andrej Holm so. Trotzdem provoziert er eine solche Reaktion, wenn er auf dem Landesparteitag die entsprechende Passage mit »Es gibt Gegenwind« einleitet. Das appelliert an den uralten linken Reflex, die Reihen zu schließen und keine Fehlerdiskussion zuzulassen [10]. Heute heißt das #holmbleibt. Anmerkungen [1] Gesellschaft für Sport und Technik, eine paramilitärische Jugendorganisation ... Link ... Nächste Seite
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Man muss sich ein Weblog als ein Notizbuch vorstellen, das nicht verlorengehen kann und das niemand findet. Seit 5499 Tagen glücklich auf Antville.
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